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Leseprobe - Matjesparty

Leseprobe aus meinem Buch "Auf Herz und Gewissen"


Matjesparty

Spätestens beim Zwiebelschälen fange ich an, die Einladung mehr als bitter zu bereuen. Seit zwei Stunden liegen hunderte tote Matjes in meinem Kühlschrank, es ist kein Platz mehr für Wurst oder Joghurt und der riesige Berg von Zwiebeln will kein Ende nehmen.
Nicht nur dass ich heute fünfzig werde, nein, ich habe viele Menschen zum Feiern eingeladen. Ganz viele. Die meisten davon kenne ich nicht einmal. Aber sie waren gestern Abend alle auf dem Feuerwehrfest und haben mir um Mitternacht ein Geburtstagsständchen gesungen. Und sie haben kräftig applaudiert, als ich nach dem ungefähr zwölften Glas Sekt auf die Bühne getorkelt bin und das Mikro an mich gerissen habe: "Ischlade eusch - ähh - ssssumm Matsches essn - ladisch eusch - hicks - tschldigung - ein! Herssslich - willkommn."
Der Applaus dröhnt mir noch immer in den Ohren. Nach der Ansage wurde ich von meinem Mann abgeführt und ins Bett verfrachtet.

Meine Augen brennen. Ich heule und fluche und wische mir mit zwiebelgetränkten Fingern die Tränen weg. Und schnibbele halbblind weiter.
"Aua!"
Rote Blutstropfen perlen von meinem Daumen auf die Zwiebelringe. Wütend knalle ich das Messer auf den Küchentisch.
Ich wickle ein Papiertaschentuch um meinen Daumen, nehme zwei Schnitzel aus dem Gefrierschrank, kühle damit meine geschwollenen Augen und hadere mit meinem Leben und mit dem Matjesangebinde, das der Vetter vom Einsatzleiter der Freiwilligen Feuerwehr am Morgen angeliefert hat.
Mein Mann ist seit dem Frühstück verschollen. Sicher sitzt er bereits beim Scheidungsanwalt. Natürlich werde ich alle Schuld auf mich nehmen und er wird das Haus, das Auto und die Stereoanlage bekommen. Jawohl. Ich habe die Ehe ruiniert. Gestern. Auf dem Feuerwehrfest. Ich habe ihn und mich blamiert und heute Abend werden obendrein tausende von Menschen unseren Rasen platt trampeln. Sie werden sich um die Matjes prügeln. Sie werden Alkohol trinken, durch den Garten torkeln und lautstark Seemannslieder grölen.

Vielleicht sollte ich einfach in Urlaub fahren. An die Nordsee zum Beispiel. In die Heimat meiner toten Freunde. Ach, ihr armen Meerestiere. Ich bin Schuld, dass so viele von euch sterben mussten. Ich hoffe, ihr verzeiht mir.
Mir ist schlecht. Ich schwöre, ich trinke nie wieder Sekt. Was habe ich da eigentlich angerichtet? Ich bin fünfzig und brauche dringend Hilfe.
Kleinlaut greife ich zum Telefonhörer: "Mama, du musst mir helfen."

Ich habe die beste und resoluteste Mutter der Welt.
Zwei Stunden später liegen die Zwiebelringe fein säuberlich geschnitten in Plastikwannen, Brötchen sind geordert, der Getränkehandel sichert uns telefonisch einen Sonderpreis zu und liefert neben Bierfässern auch Stehtische und Sonnenschirme.
"Kindchen, du kannst doch nicht das halbe Dorf einladen und nur Matjes servieren. Dazu gehören auch Brötchen und Getränke und - wie siehst du überhaupt aus?"

Eine weitere Stunde später finde ich mich beim Friseur wieder, der ebenfalls gestern Abend nebst Gattin anwesend war und mir nun freudig mitteilt, dass seine Schwiegermutter und sein Schwager die heutigen Theaterkarten verfallen lassen und lieber an meiner Matjesparty teilhaben möchten.
"Gerne" murmle ich gefasst, lasse die Trockenhaube über mich stülpen und greife dankbar zur Tageszeitung, die man mir reicht. Ich werde vorsichtshalber schon einmal nach einer Mietwohnung Ausschau halten.

Die Mannen der Freiwilligen Feuerwehr belagern seit einer halben Stunde unser Grundstück und testen ausgiebig die Temperatur des Bieres. Sogar der Spielmannszug hat sich angekündigt und unser Garten füllt sich mehr und mehr mit fremden Menschen.
Mein Ehemann ist wieder aufgetaucht, straft mich mit Missachtung und ich stehe im Badezimmer vor dem Spiegel und betrachte meine neue Frisur. Und meine Ränder unter den Augen.
Ich glaube, ich möchte nicht mehr leben. Überall wo ich gehe und stehe, sehe ich Matjes, Zwiebelringe und Brötchenkörbe. Mama kramt in ihrer Handtasche nach Schminke. "Kindchen, so kannst du unmöglich rausgehen." Resolut drückt sie mir ihren Puderquast ins Gesicht, besprüht mich mit Parfüm und scheucht mich in den Garten.

Tosender Beifall empfängt mich und viele fleißige Hände schleifen Pappteller, Matjes und Brötchen nach draußen. Die Kapelle spielt Happy Birthday. Mama strahlt. Sie hat kurzerhand noch Genever besorgt, beteuert, dass dieses Getränk unbedingt zum Matjesessen dazugehört und reicht mir ein volles Schnapsglas. Dankbar trinke ich und fühle mich gleich besser. Damit dieses Gefühl nicht nachlässt, stoße ich mit dem Leiter der Feuerwache an und vorsichtshalber auch noch mit meinem Friseur und dessen Schwiegermutter. Den warnenden Blick meines Gatten ignoriere ich und klemme mir die Flasche unter den Arm, um mich mit einem weiteren Gläschen beim Kapellmeister und am besten gleich bei dem gesamten Spielmannszug zu bedanken.

Als die Flasche leer ist, beginne ich, die Party wunderschön zu finden.
Die Menschen sind fröhlich und lachen und den Rasen werde ich morgen neu einsäen. Mama schäkert mit den Polizisten, die wegen Ruhestörung herbeigerufen wurden, und die Matjesbrötchen sind bis auf einige wenige aufgegessen. Sogar der Bürgermeister erscheint und ernennt mich zur Ehrenbürgerin der Stadt.
"Viiieln Dank - alle sssuusammn", höre ich mich noch rufen, bevor mein Mann mich erneut ins Bett verfrachtet.

Die Sonne scheint grell in meine Augen, die ich nur Bruchteile von Millimetern öffnen kann. Ich habe Kopfschmerzen und einen schrecklich faden Alkoholgeschmack im Mund.
Ob ich die Matjesparty nur geträumt habe oder ob sie wirklich stattgefunden hat, weiß ich im Moment noch nicht. Aber eines steht fest: Ich liebe Matjes.


©Gisela Reuter, 2008

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